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Schirini

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Schirini
59 Jahre
51503 Rösrath

Zhamiras Frage

Zhamiras Frage

Ich lernte Zhamira im November 2015 kennen. Das kleine Mädchen kauerte, dicht an ihren Vater gepresst, auf meiner Küchenbank und sah mich aus großen Augen fragend an. Sie war im August mit ihrer jüngeren Schwester und ihren Eltern aus Albanien nach Deutschland gekommen, im Oktober wurde ihr Bruder hier geboren.
Eine Mitarbeiterin der Flüchtlingshilfe hatte den Kontakt hergestellt mit der Frage, ob ich dem Mädchen, das noch kein Wort Deutsch sprach, bei den Hausaufgaben helfen könnte. Die Grundschule, deren erste Klasse Zhamira jetzt besuchte, grenzt an meinen Garten.
Sollte ich ablehnen, weil Albanien vor wenigen Tagen zum „sicheren Herkunftsland“ erklärt worden war?
Andererseits war diese Familie, mit nichts im Gepäck als ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft, schon vor dieser politisch motivierten Umbenennung hier eingereist. In dem Sommer, in dem ein „Wir schaffen das!“ und eine noch nie dagewesene Willkommenskultur durch Deutschland zog.
Es lag nahe, sie bei mir willkommen zu heißen.
Also kommt Zhamira seit 14 Monaten an jedem Schultag mittags zum Hausaufgabenmachen vorbei. Und ich konnte ihr bisher - trotz anfänglicher Sprachprobleme - so ziemlich alle Fragen beantworten: ABC? Grundrechenarten? Was ist eine Spülmaschine? Warum brauchen deutsche Kinder im Auto besondere Sitze? Wie putzt man Zähne? Warum verkleiden sich alle an Karneval? Was ist eine Lupe? Sie ist ein wirklich aufgewecktes und interessiertes Mädchen, es macht Freude mit ihr zu lernen.

Aber jetzt, jetzt komme ich in Schwierigkeiten.

Februar 2017, es ist Wahljahr, ein Jahr in dem wir es sogar schaffen, in Afghanistan „sichere Regionen“ zu finden. Der Wind hat sich gedreht: die Willkommenskultur ist zu einer Abschiebekultur verkommen.

Wieder sitzt Zhamira auf meiner Bank und schaut mich aus ihren großen Augen an, als sie in inzwischen akzentfreiem Deutsch fragt: “Darf ich in Deutschland bleiben?“
Auf einmal fehlen mir die Worte.
Darauf habe ich keine Antwort.

Der Asylantrag wird seit 18 Monaten bearbeitet. Wohnung, Unterhalt, Deutschkurse und Maßnahmen vom Arbeitsamt wurden finanziert, seit die Arbeitserlaubnis da ist, verdient der wirklich tüchtige Vater dazu.

Außenpolitisch gesehen ist Albanien ein sicheres Herkunftsland, die allermeisten Asylbewerber von dort werden inzwischen gnadenlos abgeschoben.

Volkswirtschaftlich betrachtet ist es ein ganzer Unsinn halbintegrierte, hochmotivierte Fachkräfte (in diesem speziellen Fall Dachdecker) abzuschieben, in die der Steuerzahler schon einiges investiert hat.

Menschlich gesehen ist es eine Katastrophe. Zhamiras Eltern schlafen zurzeit sehr schlecht. Die Stimmung in der Familie ist angespannt. Vor kurzem hat eine Notfallambulanz sie nachts mit Martinshorn geweckt, jemand in der Nachbarschaft war zusammengebrochen. Doch vor ihren Augen lief gleich ein ganz anderer Film ab, den eine befreundete albanische Familie berichtet hatte:
Dort klingelte es morgens um 4 Uhr und die Beamten der Ausländerbehörde standen vor der Tür, konfiszierten alle Handys und forderten auf, zu packen. Es wurde ihnen nicht erlaubt, ihren Anwalt anzurufen, das könnten sie von Albanien aus tun. In einer Stunde mussten 2 Jahre Deutschland in die Koffer gepackt werden, die Telefone gab es im Flugzeug zurück.

„Darf ich in Deutschland bleiben?“ Zhamira lässt nicht locker.
„Ich weiß es nicht. Ich hoffe es.“ antworte ich leise. „Lass uns weiter Deutschhausaufgaben machen!“

(Den Namen des Mädchens habe ich geändert)


Verfasst: 28.02.2017, 18:28 Uhr

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