5.2 Zerbruch Gottes Wirkungsweise
Wir wollen nun betrachten, wie der Zerbruch des äußeren Menschen unser Bibellesen, unsere Stellung als Diener am Wort und die Verkündigung des Evangeliums beeinflusst.
5.2.1 Das Bibellesen
Es ist keine Frage: Was wir sind, entscheidet zugleich darüber, was wir aus der Bibel erhalten. Wie oft stützt sich der Mensch in seiner Einbildung auf seinen unerneuerten und verwirrten Verstand, wenn er die Bibel liest. Die Frucht davon ist nichts anderes als seine eigenen Gedanken! Er kommt mit dem Geist des Heiligen Wortes überhaupt nicht in Berührung. Wenn wir im Wort dem Herrn begegnen wollen, dann muss Gott zuerst unsere eigenen Gedanken zerbrechen. Wir mögen unsere Intelligenz noch so hoch einschätzen, für Gott ist sie ein großes Hindernis. Sie vermag uns Gottes Gedanken nie zu erschließen. Es gibt mindestens zwei grundlegende Voraussetzungen für das Bibellesen: Erstens müssen sich unsere Gedanken in die Gedanken der Bibel hineindenken, und zweitens muss unser Geist in den Geist der Bibel eindringen. Wir müssen so denken, wie der Schreiber dachte, als er das Wort niederschrieb, ob es Petrus, Paulus oder Johannes war, der es geschrieben hatte. Unsere Gedanken müssen dort beginnen, wo seine Gedanken begannen, und sich so entwickeln, wie sich die seinen entwickelten. Wir müssen fähig sein, so klar zu überlegen, wie er überlegte, und so zu ermahnen, wie er ermahnte. Mit anderen Worten: unsere Gedanken müssen sich mit den seinen treffen. Das ermöglicht dem Geist, uns die genaue Bedeutung des Wortes zu vermitteln. Es gibt Menschen, die mit einer vorgefassten Meinung die Bibel in die Hand nehmen. Ihnen dient das Bibellesen nur, um ihre vorgefassten Lehren biblisch zu untermauern. Wie tragisch! Eine erfahrene Person wird schon nach fünf oder zehn Minuten erkennen, ob solch ein Sprecher die Bibel seinen eigenen Zielen dienstbar machen will oder ob dessen Gedanken mit denen der Bibel im Einklang stehen.
Der eine mag aufstehen und eine gefällige, anscheinend schriftgemäße Botschaft weitergeben, und doch können seine Gedanken in Wirklichkeit im Gegensatz zu denen der Bibel stehen. Einen anderen hören wir predigen, dessen Gedanke sich mit dem der Bibel deckt, der also mit der Bibel eine harmonische Einheit bildet. Obschon diese Stellung eigentlich die normale ist, erlangen sie nicht alle. Damit unsere Gedanken mit denen der Bibel einig gehen, bedarf es des Zerbruchs des äußeren Menschen. Denkt nicht, dass unser Bibellesen unfruchtbar sei, weil es an der Unterweisung fehle. Der Mangel liegt vielmehr bei uns, weil sich Gott unsere Gedanken noch nicht hat unterwerfen können. Zerbrochensein heißt also mit der eigenen Geschäftigkeit aufhören und ebenso mit unserem voreingenommenen Denken, um anzufangen, stufenweise den Sinn des Herrn anzunehmen und dem Lauf der biblischen Gedanken zu folgen. Erst wenn unser äußerer Mensch zerbrochen ist, vermögen wir in die Gedanken des Wortes Gottes einzudringen.
So wichtig dies ist, so müssen wir doch noch auf die Hauptsache zu sprechen kommen. Die Bibel enthält mehr als nur Worte, Ideen und Gedanken. Das hervorstechendste Merkmal der Bibel ist, dass durch dieses Buch der Geist Gottes hervorzubrechen vermag. Wenn ein Verfasser, ob Petrus oder Johannes, Matthäus oder Markus, durch den Heiligen Geist erleuchtet ist, so folgt sein erneuerter Sinn den eingegebenen Gedanken und kommt sein Geist mit dem Heiligen Geist zum Durchbruch. Die Welt kann nicht verstehen, dass Gottes Wort tatsächlich Geist ist und dass dieser Geist so hervorzubrechen vermag, wie es uns der prophetische Dienst aufzeigt. (Prophetisch reden heißt nach 1. Kor. 14,3 treffend reden zur Erbauung, zur Ermahnung und zum Trost.) Wenn ihr heute eine prophetische Botschaft hört, so wird euch bewusst, dass da etwas Geheimnisvolles gegenwärtig ist, das mehr ist als nur Worte und Gedanken. Es ist das Offenbarwerden des Geistes Gottes durch das Gotteswort. Da in der Bibel also nicht nur Gedanken, sondern der Geist selbst hervorbricht, könnt ihr die Bibel nur dann recht verstehen, wenn euer Geist mit dem Geist der Bibel in Verbindung kommen kann. Nehmen wir zur Illustration einen ungezogenen Buben, der absichtlich ein Fenster des Nachbarn einschlägt. Der Nachbar kommt heraus und überschüttet ihn mit Scheltworten. Sobald die Mutter des Jungen von diesem Unfug hört, tadelt sie ihren Sprössling ebenfalls ernstlich. Aber irgendwie besteht da ein Unterschied im Geist der beiden Strafpredigten. Die eine kommt aus einer schlechten Laune und entspringt einem zornigen Geist, die andere aber bringt dennoch Liebe, Hoffnung und Erziehung zum Ausdruck. Das ist nur ein einfaches Beispiel. Der Geist, der die Schrift eingab, ist der ewige Geist, der in der Bibel immer gegenwärtig ist. Wenn unser äußerer Mensch zerbrochen ist, dann ist unser Geist frei und vermag mit dem Geist, der die Schrift eingegeben hat, in Verbindung zu treten. Andernfalls bleibt die Bibel für uns ein totes Buch.
(Watchman Nee, „Zur Nachfolge befreit“ )
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