Gesellschaft im Sog der InfantilisierungSpiel, Spaß und ewige Jugend
Unsere Gesellschaften, unsere Kultur und vor allem unsere populären Medien erzeugen einen Sog in Richtung einer „Infantilisierung“, die gewisse Gefahren für die kulturelle Identität und die Wissensgesellschaft bedeutet.
Von Markus Metz und Georg Seeßlen | 23.04.2023
Infantilisierungsbilder sind Teile von Machtverhältnissen. Infantilisierung scheint vor allem ein probates Mittel für die Manipulation von Konsumwünschen, weswegen der Grad an Infantilisierung einer Gesellschaft auch gern an ihren Werbebotschaften bemessen wird. Sie enthalten nicht zuletzt oft eine Sehnsucht nach einer Kindheit, die es nie gab.
Unter Infantilisierung versteht man im Allgemeinen eine Vermischung von drei Impulsen:
Da ist einmal die Komplexitätsreduzierung – ein Widerwillen gegen alles Komplizierte, Widersprüchliche und Relativierende.
Zweitens ist die Verwandlung aller Kommunikationsformen in „Spiel und Spaß“ zu beobachten, mit einem Hang zu Intimisierung und Verniedlichung.
Und drittens ist da der Sieg des kindlichen Narzissmus und Egoismus über erwachsene Verantwortlichkeit und Reflexion.
...
Infantilisierung
„Der Begriff Infantilismus bezeichnet den Zustand des Stehenbleibens auf der Stufe eines Kindes und kann sich sowohl auf die körperliche als auch auf die geistige Entwicklung beziehen. Der Begriff stammt vom lateinischen Wort infantilis (dt. ‚kindlich‘) ab und hat in den einzelnen Fachgebieten genauer abgegrenzte Bedeutungen. Die Herbeiführung eines Infantilismus wird als Infantilisierung bezeichnet.“
(Fremdwörterlexikon. Bertelsmann, Gütersloh/Berlin/München/Wien 1974)
These
Die postmoderne, postbürgerliche und postaufklärerische Medien- und Konsumgesellschaft will ihren Mitgliedern das Erwachsenwerden schwer machen, weil erwachsene Menschen weniger Konsumlust entwickeln und schwerer zu manipulieren sind. So entstand eine Kultur der allgemeinen Infantilisierung, auf die Medienwissenschaftler und Kulturkritiker wie Neil Postman ab den 1970er-Jahren hingewiesen haben: Ewig kindische Erwachsene und viel zu früh erwachsene Kinder sind eine Folge von Unterhaltung und Massenkultur.
...
https://www.deutschlandfunk.de/klartext-reden-die-gesellschaft-im-sog-der-infantilisierung-100.html
--------------------------------------
Raymond Unger spricht in seinem Buch: „Die Wiedergutmacher“ vom „moralischer Infantilisierung“.
Es handelt sich um die Generation der Babyboomer, die ungefähr von 1957 bis 1967 reicht, um die Kriegsenkel, die in der Literatur auch als „Nebelkinder“ bezeichnet werden, weil sie ein nebulöses, stets präsentes Schuldgefühl in sich tragen. Einerseits fanden sie – soweit im Westen lebend – Aufstiegschancen und materiellen Wohlstand vor, vermißten allerdings die emotionale Sicherheit. Sie sind die Söhne und Töchter von Kriegskindern, deren frühe Jahre von Bombennächten, Vertreibung, Entbehrung geprägt und deren Väter entweder im Krieg geblieben oder aus ihm beschädigt zurückgekehrt waren.
Kommentare zu diesem Blogeintrag
Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Blogeintrag.